Der Roman (1929)
„Versl schreibt er und Romane, sagen’s, und Theaterg’spieler. Solchene unnütze Tagediebe ham mir g’rad no’braucht dahier. Dö ganz’ Woch im Feiertagsg’wand umananda laffa! So oana woaß do wirkli’net, warum er auf der Welt is“. „So oana stiehlt do’unserm Herrgott an Tag ab“.
So reden Kleindlfinger Honoratioren – viele sehen in Kleindlfing Pfaffenhofen an der Ilm – in Joseph Maria Lutz’ Roman „Der Zwischenfall“ über den Dichter Bruno Wilmann. Er sucht nach literarischer Inspiration – und die glaubt er in Kleindlfings bürgerlich-behäbiger, auch ein wenig spießig-verlogener Welt zu finden. So hat er sich – vorübergehend – hier eine Wohnung genommen.
Da kommt er aber den Kleindlfingern gerade recht! Einer wie Wilmann, so glauben sie, hat hier nichts zu suchen. Der soll doch erst einmal etwas arbeiten oder am Sonntag wenigstens in die Kirche gehen. Der verwitwete Metzgermeister Huber, hoch angesehenes Mitglied des städtischen Magistrats, wird zum Wortführer der eifernden Allianz gegen den Dichter.
Zum Unmut der Kleindlfinger pflegt dieser offenbar auch ein „g’schlampertes Verhältnis“ und lässt eine Dame zu „unerlaubtem Verkehr“ in die Wohnung. Die ehrenwerten Bürger zeigen deswegen Wilmann beim Herrn Bezirksamtmann Dr. Arnold Mintscherlich an. Dieser ist ehrgeizig, karrieresüchtig und humorlos, so, wie man sich gewöhnlich einen Beamten um 1920 vorstellt. Mintscherlich lädt den Dichter vor. In einem spannenden Dialog offenbart sich all die Abneigung, die regierungstreue Funktionäre damals Literaten zuteil werden ließen. (Prompt protestierte Pfaffenhofens Bezirksamtmann bei der Regierung von Oberbayern gegen das , empfiehlt gar, gegen den „Schriftsteller Lutz“ vorzugehen, sei doch seine Darstellung des Beamtentums von „giftigster Gehässigkeit“).
Wilmanns Damenbesuch, an dem die Männer, die sonst nur zu gerne prallen Formen hinterher blicken, so Anstoß nehmen, erweist sich als Schwester des Dichters. Und die ist noch dazu die Frau eines berühmten Arztes und Universitätsprofessors. Nicht genug damit: Wilmanns Stiefvater ist Mini-sterialrat im Innenministerium, also Vorgesetzter Mintscherlichs. Dieser stürzt in arge Verlegenheit, bangt um seine weitere Karriere. Plötzlich entdeckt er seine Sympathien für Künstler und Literaten… Aber auch Metzgermeister Huber gerät in tiefe Nöte. Seine hübsche, sensible Tochter Maria – sie entstammt der früheren Liaison Hubers mit einer Münchner Schauspielerin – verliebt sich: ausgerech-net in Bruno Wilmann. Huber ist darüber auf Höchste erzürnt.
Als Wilmann ein bedeutender Literaturpreis zuerkannt wird, gerät Kleindlfings Welt vollends ins Wanken. Alle versuchen, noch „die Kurve zu kriegen“. „Der Herr ist eben falsch beurteilt worden. Ich hab mir’s gleich gedacht!“ meint der Herr Pfarrer. Und was sagt der Herr Huber? „Iatzt, i’ hob allaweil scho g’sagt, so a Dichter, sag i, is’ halt was B’sonders – dös is’ die Kunst, vostanden“. Man beschließt, den Dichter ordentlich zu feiern. Daraus wird aber nichts: es ereignet sich der titelgebende Zwischenfall. Gefeiert wird trotzdem: Hubers Verlobung mit dem vollbusigen „Kramer Vikerl“….
Unverständlich bleibt, dass Lutz sein wohl bestes Werk – selbst Thomas Mann hat es gelobt – später als „Jugendsünde“ abtat.
Reinhard Haiplik
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